Zum Kind-Gottes-Sein ermächtigt

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Er war in der Welt

und die Welt ist durch ihn geworden,

aber die Welt erkannte ihn nicht.

Er kam in sein Eigentum,

aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.

Allen aber, die ihn aufnahmen,

gab er Macht, Kinder Gottes zu werden,

allen, die an seinen Namen glauben,

die nicht aus dem Blut,

nicht aus dem Willen des Fleisches,

nicht aus dem Willen des Mannes,

sondern aus Gott geboren sind.

(Joh 1,10-13)

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Meine Deutschlehrerin hätte da gleich den Rotstift angesetzt: Er war in der Welt… Wer, bitte? Der einzige „Er“ von dem im Johannesprolog bisher die Rede war (vgl. letzte Posts), ist Johannes gewesen. Aber der kann hier nicht gemeint sein, denn durch ihn ist ja nicht die Welt geworden. Ja, und Gott kam vor, wenn man ihn denn auch als ein „Er“ bezeichnen will – was die Bibel bekanntlich tut. Von Jesus Christus, den wir Christen sofort  in diesem „Er“ sehen, ist in den ersten Sätzen noch gar nicht ausdrücklich die Rede gewesen. Nur immer vom Wort. Dann müsste aber „Es“ da stehen. Nun, der griechische Begriff für „Wort“ ist Logos, und der ist maskulin. Den hatten die Übersetzer wohl im Kopf, als sie „Er“ schrieben. Das Wort, das Johannes meint,  ist eben nicht dinglich, es ist Person.

„Logos“ ist im Griechischen mehr als ein bloßes Wort. Es kann Wort, Rede, Vernunft, Sinn, Verständnis und ich weiß nicht was sonst bedeuten. Im Grunde ist es etwas, was wir nicht greifen können, was uns aber trägt, Sinn und Bestand unseres Lebens. Unser Grundwasser sozusagen, oder die Luft, die wir atmen. Und – christlich gesehen – etwas sehr Personales, das uns nicht in einem gut funktionierenden Räderwerk verschwinden lässt, sondern persönlich meint und einbezieht. Wer mit dem Denken des Johannes vertraut ist, weiß: Für ihn ist dieser Logos nichts anderes als Liebe. Und Liebe gibt es nur von Person zu Person. Liebe ist der tiefste Sinn allen Daseins.  Liebe, die sich in Gott selbst ausdrückt, ja die dieser Liebesausdruck selbst IST und sich öffnet auf die Schöpfung hin; Liebe, die als geheimnisvolle Kraft alles in einem inneren Zusammenhang hält und aufeinander abstimmt wie in einer wunderbaren Choreographie.

Aber die Welt erkannte ihn nicht. Wie ist das möglich? Dieser Logos, Gott selbst, der die Liebe ist,  kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. Wie können ausgerechnet „die Seinen“ das Spiel so verderben? Und sie tun es bis heute…

Liebe lässt Freiheit. Ja, tatsächlich, sie macht ernst damit. Sie kann auch abgelehnt werden. Liebe lässt diese Freiheit zu. Das gehört zu ihr. Sie schlägt keine Tür zu – auch dann nicht, wenn ihr Türen zugeschlagen werden. Das macht sie glaubwürdig. Aber auch leidend… in erster Linie mit den leidenden Menschen. Denn die Ablehnung trifft nicht nur sie, sondern hinterlässt auch Opfer unter den Menschen. Grausamens Leid, das die Lebensverweigerer anderen antun. Die Liebe leidet mit. Sie sehnt sich mit und sucht. Sie wirbt und lädt ein. Sie geht mit – auch durch den Tod. Und LEBT dennoch, weil sie selbst LEBEN ist.

Wo diese Liebe aber aufgenommen wird – und das geschieht offensichtlich auch -, ermächtigt sie zum Kind-Gottes-Sein.

Hat ein Kind jemals die Macht, zu bestimmen, wessen Kind es sein will? Nein! Selbst ein (älteres) Adoptivkind nicht, denn es bleibt zeitlebens das leibliche Kind seiner leiblichen Eltern.

Wir aber haben die Macht, Kinder Gottes zu sein – wenn wir das Wort aufnehmen. Johannes spricht ausdrücklich von „leiblichen Kindern“, nämlich: die aus Gott geboren sind. Und um nicht missverstanden zu werden, setzt er noch eins drauf und spielt quasi dieses neue Geborensein gegen die normale leibliche Herkunft aus. Nicht, dass er sie leugnen will, aber sie spielt keine Rolle mehr. Natürlich ist das eine spirituelle Aussage, die „Beziehung“ meint, keine Übermenschen. Aber schon etwas Ganzheitliches. Bis in den Leib hinein haben wir teil am neuen Leben in Christus, vom Ursprung her sind wir Kinder Gottes, durch das Wort der Liebe ins Dasein geliebt und zum Leben und Lieben ermächtigt.  Eigentlich ist ja jeder Mensch ins Dasein geliebt, aber Gott zwingt keinem das Kind-Gottes-Sein auf. Er bietet es an. Wo es aber aufgenommen wird, ist es schon so etwas wie eine „Auferstehung“ mitten in dieser Lebenszeit, eine Ermächtigung zum Leben und Lieben, das im Wort west und das unser Licht ist – und sogar den Leib durchflutet.

Manchen Menschen sieht man das an – selbst wenn sie von Krankheit gezeichnet sind.

Denn Gott selbst wurde

in der Macht seiner Liebe

leibliches Kind der Menschen.

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