Dein Reich komme

„Hier herrscht eine gute Atmosphäre“, sagen wir gern, wenn wir uns irgendwo wohlfühlen. Oder: „Dort herrscht ein guter Geist“. In solchen Sätzen schwingt eine tiefe Sehnsucht nach einer solchen Art von „Herrschaft“ mit. Aber wer oder was herrscht“ da genau? Und worin besteht dieses Herrschen? Irgendwie wissen wir das alle, man muss es nicht groß erklären. Es ist mehr als Stimmung, es sind Menschen, die offen füreinander sind, es ist eine personale Kraft, die in und zwischen den Menschen zu spüren ist, eine Kraft, die Menschen in gelungenen, von Respekt und Wertschätzung getragenen Beziehungen miteinander kommunizieren lässt -–trotz Unterschiede, trotz Meinungsverschiedenheiten, trotz Fehler der Einzelnen.

Beziehungskraft – ja, das ist es! Wenn wir beten „Dein Reich komme“, ersehnen wir genau das und erbitten zugleich unendlich mehr. Genau das, weil in Gottes Reich nichts anderes herrscht als Liebe -– nach der wir uns zutiefst sehnen. Liebe ist Beziehungskraft, die leben lässt. Und unendlich mehr, weil „Liebe“ unendlich mehr ist als das, was wir bewusst ersehnen, erahnen und erbitten.„ Gott ist Liebe.

Die alten Götter, an die die Menschen glaubten, hatten in der Vorstellung der Menschen ihr je eigenes Reich: ein Land, einen Bereich, für den sie jeweils zuständig waren, ein Volk, klar eingegrenzt. Mit unseren modernen Göttern, ob sie Geld, Internet, das Allerneueste vom Neuem,  Ansehen, Fußball, Musikstar XY oder wie auch immer heißen, ist es genau so: klar eingegrenzt, klar zuständig für die, über die sie herrschen. Das ist ihr „Reich.

Der Gott, an den wir Christen glauben, ist universal. Liebe lässt sich nicht eingrenzen. Das Reich eines solchen Gottes, der Liebe ist, kann nur universal sein. In einem solchen Reich kann nur Liebe herrschen. Liebe als grundsätzliche Bejahung des Anderen, als Kraft, die wachsen lässt, als bedingungsloses Zueinander-Stehen, als gegenseitige Anteilnahme. Und genau das schenkt uns Gott zuerst, von sich aus. Er schenkt sich selbst. Restlos. So weit, dass er Mensch wird.

Dein Reich komme. Sind wir uns immer bewusst, wie gewaltig diese in vollem Vertrauen ausgesprochene Bitte ist? Sind wir bereit, dieses Reich auch anzunehmen, nachdem wir darum gebetet haben? Wir wissen es genau: Kein Tag vergeht, in dem wir nicht in Versuchung geraten, es abzuweisen –-  wenn es sich leise ankündigt.  Und wie kündigt es sich an? Klein, unscheinbar, heute vielleicht mit dem zaghaften Lächeln des behinderten Nachbarn. Morgen mit der Bitte einer lästigen Kollegin. Übermorgen mit einer Nachricht, die mich erst einmal aus der Bahn wirft… Sind unsere Ohren so frei, dass wir dahinter die Stimme hören können: „Fürchtet euch nicht, ich bin es!“? Und es gibt noch unendlich mehr Klopfzeichen!

Jede Gebetszeit, für die wir uns frei machen, ist ein solches Klopfzeichen. In einem stecken wir mittendrin: die österliche Bußzeit, in der wir uns auf die Feier des Todes und der Auferstehung Jesu Christi vorbereiten. „Ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wer meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem werde ich eintreten…“ (Offb. 3,20)

Dein Reich komme!“ Herr, lass uns die Zeichen Deines Reiches erkennen. Und lass uns demütig genug sein, sie anzunehmen und gelten zu lassen.

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