O Sapientia (O Weisheit)

O Weisheit,

hervorgegangen aus dem Munde des Höchsten,

die Welt umspannst Du von einem Ende zum andern,

in Kraft und Milde ordnest du alles:

Komm

und lehre uns den Weg der Einsicht.

Die Weisheit ist der Widerschein des ewigen Lichts,
der ungetrübte Spiegel von Gottes Kraft,
das Bild seiner Vollkommenheit.
Sie ist nur eine und vermag doch alles;
ohne sich zu ändern,
erneuert sie alles.
Von Geschlecht zu Geschlecht tritt sie in heilige Seelen ein
und schafft Freunde Gottes und Propheten.
Sie ist schöner als die Sonne
und übertrifft jedes Sternbild.
Sie ist strahlender als das Licht.

(Weish 7,26-27.29)

Es ist interessant, dass der erste Titel für den ersehnten Erlöser  „Weisheit“ ist. Kein Macher wird ersehnt, keiner, der alle Probleme mit einem Kraftakt hinwegfegt, kein „starker Mann“ in brachialem Sinne. Es wird „Sapientia“ oder auf griechisch „Sofia“, die Weisheit ersehnt und angerufen. Aber was ist das? Die Bibel personifiziert gern die Weisheit, mal mit einer Frau – einer Mutter oder einer jungen Gattin -, die einem freundlich und beschwingt entgegenkommt (vgl. Sir 15,2), mal mit einem „geliebten Kind“, das vor Gott spielt, und dessen Freude es ist, „bei den Menschen zu sein“ (Vgl.  Spr 8). Es gibt noch mehr wunderschöne Texte dazu in den Weisheitsbüchern. Die Christen haben in der personifizierten Weisheit Jesus Christus gesehen, und ihn meinen sie, wenn sie im Advent „O Sapientia“ singen.

Aber noch einmal: Was ist Weisheit? Auf Wikipedia wird sie definiert als „ein tiefgehendes Verständnis von Zusammenhängen in Natur, Leben und Gesellschaft sowie die Fähigkeit, bei Problemen und Herausforderungen die jeweils schlüssigste und sinnvollste Handlungsweise zu identifizieren.“ Der Weise erkennt den Zusammenhang, den Sinn. Damit steht Weisheit über der Intelligenz. „Fortiter suaviterque“, mit Kraft und Milde ordnet sie alles. Sie hat mit Klugheit, mit Ganzheitlichkeit, mit Weite, mit Ausgewogenheit zu tun – und ist zugleich viel mehr als das alles. Letztlich ist sie eine personale Kraft, weil sie aus dem ewigen Geliebt-Sein entspringt (das spielende Kind vor Gott) und ihre Freude darin findet, „bei den Menschen zu sein“, ihnen entgegen zu kommen, sie zu verstehen, sie zu begleiten, sie zu lieben.

Jesus hat das alles nicht nur „gelebt“, er IST das für uns: Leichtigkeit des Geliebtseins vom „Vater“, Dasein für uns bis in den Tod, freudiges Entgegenkommen (Advent), Begleitung (Weg), Halt (Wahrheit), Ziel (Leben) – die erlösende Weisheit, die unsere Welt so dringend braucht, die Liebe selbst.   

 

 

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