Erlöse uns von dem Bösen

Die Frage nach dem Bösen gehört zu den schwierigsten überhaupt. Trotz allen Suchens nach Erklärungen, finden wir keine endgültig befriedigende Antwort. Es wäre auch fatal, wenn wir eine zufriedenstellende theoretische Antwort fänden, die keine Fragen mehr offen ließe. Dafür ist das Böse zu ungeheuerlich, zu erschütternd, zu zerstörerisch, zu sinnlos. Andererseits fragen wir ja gerade deswegen! Aber jeder Antwortversuch löst neue Fragen aus. Natürlich hat Gott dem Menschen die Freiheit gegeben. Aber gleich fragen wir weiter: Wo bleibt die Freiheit derer, denen himmelschreiendes Unrecht geschieht? Und erst recht die Freiheit derer, denen man noch nicht einmal Zeit lässt, auf ihr Leid eine persönliche, frei verantwortete, in unzerstörbarer Würde wurzelnde Antwort zu geben, etwa im Mutterleib getötete Kinder oder Menschen, denen bei einem Massaker plötzlich das Leben genommen wird? 

Ich erhoffe keine theoretische Antwort auf die Frage nach dem Bösen, sondern eine praktische: die Erlösung davon. Das Böse ist so absurd, so zersetzend in seiner unaufhörlichen Lüge, so ungeheuerlich, dass es dorthin verschwinden sollte, wo es hingehört: ins Nichts. Es ist meiner Meinung nach nicht wert, „erklärt“ zu werden, auch wenn wir verständlicherweise immer wieder nach Erklärungen suchen. Es hat keine Existenzberechtigung. Daher sollte es überwunden werden, indem wir nicht nach Erklärungen, sondern nach Wegen der Befreiung suchen. Hier kommt dem Versuch, zu verstehen, allerdings schon eine gewisse Rolle zu: Wir versuchen, das Verhalten konkreter Menschen zu verstehen, um sie auf dem Weg der Befreiung nach Möglichkeit zu unterstützen, auch durch unser Gebet für sie. Davon abgesehen, überrascht uns bisweilen auch eigene Bosheit, deren Dynamik wir besser verstehen wollen, um davon frei zu werden.

Genau das erbitten wir im Vaterunser: die Befreiung –- die uns selbst unmöglich ist. Nicht die Gaben Gottes sollen im Nichts verschwinden, nicht die Freiheit soll aufgehoben werden, sondern die Verzerrungen, Verbiegungen, Verkürzungen und Verfremdungen, die Menschen quälen und Gottes Schöpfung gefährden, mögen überwunden werden. Alles soll erlöst, neu geordnet,  ausgerichtet werden auf die Verherrlichung Gottes und das Heil der Menschen hin.

Wenn das so einfach wäre! Gerade weil das Böse nicht „etwas“ ist, wie ein mit Antibiotika zu bekämpfender Bakterienstamm, ist es so schwierig, die Geister zu unterscheiden. Das Böse lässt sich kaum greifen, es ist die Lüge selbst, ein Nichts –- was aber nicht heißt, dass es nicht erschreckend intelligent und zerstörerisch oder auch sehr subtil und kaum wahrnehmbar auftreten kann. Die Verführung kann jeden treffen. Nicht selten trifft sie besonders begabte Menschen -– auch religiös Begabte, die an sich mit Durchblick durchs Leben gehen oder zu gehen meinen. Gerade sie können der Verführung leicht erliegen, weil sie es mehr oder weniger gewohnt sind, sich moralisch gut zu fühlen und von anderen auch so empfunden zu werden. Doch mit einer winzigen Anwandlung des Herzens, der sie nachgeben, können sie sämtliche empfangenen Gaben, selbst die „heiligsten“, auf sich selbst zurückbiegen, auf die eigene Verherrlichung, auf den Rausch an sich selber, anstatt die Verherrlichung Gottes und das Heil der Mitmenschen zu suchen. Äußerlich kriegt das kaum jemand mit, aber innerlich erkaltet allmählich die Liebe. Der betroffene Mensch beginnt, einem gnadenlosen Götzen Fronarbeit zu leisten: dem EGO. Das lebendige Wasser im Innern hört auf zu fließen, es wird zum Eisklotz. Wir können das oft nicht durchschauen, noch nicht einmal in uns selbst, bis die Eiszeit“ im eigenen Herzen uns selber frösteln lässt. Wir sind angewiesen auf die Erlösung durch Gott, um die wir bitten.

Und Er gibt uns seinen befreienden Namen mit auf den Weg: ICH BIN DA. Und zwar ganz. Auch dann, wenn wir in Selbstanbetung oder im Extremfall in Selbsthass erstarrt sind. Dann leidet er um uns und wartet. Er ist die wärmende Sonne, die den Eisklotz im Herzen wieder auftauen lässt. Setzen wir uns dieser Sonne aus, dem ICH-BIN-DA, der sich uns aussetzt! Und wenn das Wasser in uns wieder zu fließen beginnt, vom Ich zum Du, und erneut im Wir sich sammelt, wird Gottes Name in uns und durch uns geheiligt…

Am Ende unserer Betrachtungen über das Vaterunser schließt sich der Kreis. Wir sind wieder auf das Geheimnis von Gottes Gegenwart gestoßen, auf seinen heiligen Namen, der über uns ausgerufen ist. Weil der ICH-BIN-DA, Gottes Gegenwart, immer befreiend, erlösend ist, erst recht dort, wo Er tief in die Materie eingegangen ist, wo seine Liebe Leib und Speise geworden ist im Zeichen des Brotes, deswegen hat unser Beten vor dem Allerheiligsten etwas Befreiendes, Erlösendes. Durch das stille Anbeten seiner Leib gewordenen Gegenwart tragen wir zur Erlösung von dem Bösen bei.

Vater unser, Du ICH-BIN-DA,  Du befreiender Gott, Jesus Christus, Du Feuer, Heiliger Geist, geheiligt werde Dein Name!

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