Komm!

Der Geist und die Braut aber sagen: Komm! Wer hört, der rufe: Komm! Wer durstig ist, der komme. Wer will, empfange umsonst das Wasser des Lebens. (Offb 22,17)

Nach längerer Pause setzen wir heute unsere Betrachtungen über wichtige Aussagen aus der Apokalypse fort.

Bei den bisherigen Aussagen, die ich wählte, war es Jesus Christus, der sprach, der ermutigte, herausforderte, tröstete – und immer wieder mit den Worten „Ich bin“ auf den Namen Jahwe hinwies, ja sich mit diesem Namen identifizierte, wie der erfahrene Bibelleser leicht merken kann. („Fürchte dich nicht, ich bin es, der Erste und der Letzte…“, „Ich bin das Alpha und das Omega…“, „Siehe, ich komme bald…“, „Ich bin die Wurzel und der Stamm Davids…“, „Ich bin der strahlende Morgenstern…“)

Heute haben „der Geist und die Braut“ das Wort und sprechen ähnlich einladend. Der Geist und die Braut – wer ist das? Der Geist, das ist natürlich der Heilige Geist, Gottes Geist, den wir als die Dritte Person der Dreifaltigkeit anbeten, die Liebe in Person, die „Vater“ und „Sohn“ verbindet und sich in unsere Herzen ergießt. Und die Braut? Das ist die Kirche, in der diese göttliche Liebe, der Heilige Geist, wirkt. Das heißt natürlich nicht, dass die Kirche perfekt ist, dass nur Liebe in ihr wirkt. Es heißt nur, dass Gottes Geist in ihr wirkt – wenn auch daneben mancher Ungeist immer noch in ihr tobt, der aus heidnischen Resten im Denken, Erinnern und Wollen stammt. Dann denkt man sich seine eigene Welt zurecht, klebt an alten Verletzungen, will mit dem Kopf durch die Wand…  und übertüncht alles fromm. Das ist nicht der Geist Gottes, sondern ein Ungeist (schreckliches Wort).  Aber auf „Ungeister“ brauchen wir ja nicht zu hören.

Sie beide, der Geist und die Braut in ihrem Glauben, Hoffen und Lieben, rufen uns zu: „Komm!“

Wie im Stereo werden wir also gerufen. Oder im Kanon. Und wir setzen den Kanon fort. Oder noch besser: die Fuge. Denn ein Kanon dreht sich immer nur im Kreis, aber eine Fuge hat ein Ziel. Interessant, dass die Apokalypse nicht dazu aufruft, nach dem Hören des Rufes direkt aufzuspringen, sondern dazu einlädt, sich erst umzuschauen, ob wir nicht den Ruf gleich an andere weitergeben und vielleicht sogar jemand mitnehmen können. Ähnlich war es ja auch bei der Berufung der Apostel. Zuerst wurde der Apostel Andreas von Jesus angesprochen. Dieser hörte es und sagte es seinem Bruder Petrus weiter, der hörte auch und rief es wieder einem anderen zu u.s.w.  So entstand und wuchs ganz organisch die Gemeinschaft der Gläubigen, die Kirche.

Wer bei Facebook ist, kennt die Funktion „gefällt mir“, mit der man das, was einen anspricht, direkt markieren, weitergeben, andere darauf aufmerksam machen kann. „Liken“ nennt man das inzwischen auf „Denglisch“. Na ja, man braucht sich mit dem Ausdruck nicht anzufreunden. Aber die Sache entspricht einem tiefen Bedürfnis in uns: dem Bedürfnis nach Mitteilung, nach Teilen, nach Gemeinschaft. Wenn alle, die überzeugt das Evangelium leben und an der Eucharistiefeier teilnehmen, es schaffen könnten, auch nur eine Person, die sie für offen halten, am nächsten Sonntag zum Mitkommen zu bewegen, würden zumindest an jenem Sonntag doppelt so viele Menschen die frohe Botschaft hören, Eucharistie feiern und vielleicht eine ganze Reihe von ihnen das Heil ahnen, das Gott uns schenken will – ja, auch durch die Kirche!

Haben wir Mut, dieses „Komm“ weiter zu rufen, diese Fuge durch die Zeiten nach der Inspiration des Geistes gemeinsam weiter zu komponieren. Ich denke gerade: Fuge heißt „Flucht“. Denn die eine Durchführung des Themas jagt die andere. Das Wort „Flucht“ klingt ein wenig negativ, aber das macht die Dynamik der Fuge aus. Das Thema zieht sich durch alle Stimmen, aber nicht gleichzeitig. Mal taucht es im Tenor auf, dann im Alt, dann wieder im Sopran, schließlich fällt der Bass noch ein… In diesem „Jagen“ ist jedoch immer Kontinuität und Gehorsam gegenüber dem Thema, bis die Dynamik in der erweiterten Schlusskadenz ihre Vollendung findet. Ein wirklich schönes Bild für Kirche!

komm –  komm

                     komm – komm

      komm – komm

                                           komm – komm…

Wir müssen unseren Eifer nicht jedem in die Ohren schreien, das würde eher abschrecken. Aber wenn wir spüren, dass ein Mensch sucht, offen und interessiert ist, vielleicht auch leidet und einen Trost braucht, den die Welt nicht geben kann, sollten wir es wagen, dieses „Komm“ ihm weiterzusagen, mit Worten, Gesten, Liedern, Aufmerksamkeiten oder wie auch immer. Im Evangelium heißt es: „Komm und sieh!“ Da wird noch deutlicher, dass der Einzelne zwar deutlich eingeladen wird, aber dann in voller Freiheit kommt, selber sieht und hört, seine Erfahrungen sortiert und Entscheidungen trifft – und vielleicht auch noch andere neugierig macht.

„Proposer la foi“, den Glauben vorschlagen, sagen treffend die französischen Bischöfe… Vorschlagen, noch nicht einmal empfehlen oder gar dazu drängen! Vorschlagen – aber aus ganzem Herzen!

Vielleicht haben wir in diesem Monat die eine oder andere Gelegenheit, das Wagnis des Glaubens vorzuschlagen, in einem wie auch immer ausgedrückten, liebevollen Komm!  – immer wissend, dass Glauben-Können ein Geschenk ist…

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