Ich bin die Wurzel und der Stamm Davids. (Offb 22,16)

Das Buch der Johannesoffenbarung (oder Apokalypse) wird offenbar nicht müde, dieses Thema aufzugreifen: Jesus der Erste und der Letzte, das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende, die Wurzel und der Stamm. Kein Wunder, denn das Buch richtet sich an Menschen, die Jesus nicht mehr als Mensch erlebt haben. Es sind die ersten  einer unzählbar langen Pilgerschar, die mittlerweile schon zwei Jahrtausende unterwegs ist. Diese Menschen, zu denen auch wir gehören, können längst nicht mehr sagen: „Wie schön war das, als wir mit ihm durch die Gegend zogen!“ „Oder: Ach, ich traf Jesus zufällig bei der Synagoge…“ „Stell dir vor, ich war schwer krank, und er hat mich mit einer bloßen Berührung geheilt!“ Oder auch nur: „Als ich geboren wurde, lebte er noch!“ Oder: „Ich habe seine Mutter kennengelernt – eine faszinierende Frau!“ Nein, diese große Schar muss sich mit der Botschaft zufriedengeben und muss sich immer neu entscheiden, ob sie sie glaubt oder nicht. Allerdings war diese Entscheidung für die Zeitgenossen Jesu nicht weniger fällig –- vielleicht sogar noch mehr, denn das häufige Sehen ihres Nachbarn, Cousins, Freundes, des Sohnes des Zimmermanns aus Nazareth, der plötzlich mit göttlicher Vollmacht redete und handelte, war für sie oft irritierend.

Viele der Menschen in der großen Pilgerschar, die den Zeitgenossen Jesu folgt, kennen durchaus tiefe Begegnungen mit Jesus – – bis heute! -–, aber nicht wie mit ihrem Nachbarn (den sie manchmal vielleicht lieber nicht sehen würden). Ihre Begegnungen mit Jesus erleben sie im Glauben, manchmal überwältigend, manchmal sehr zart und still, oft im nackten Glauben, ohne jedes begleitende Hochgefühl, das wir normalerweise bei einer schönen Begegnung mit einem geliebten Menschen haben.

Nach den Bedrängten, den Durstigen und den Starken – vgl. Betrachtungen der letzten Monate – spricht Jesus hier bei dem Satz  „Ich bin die Wurzel und der Stamm Davids“ die Judenchristen an, aber nicht nur sie, sondern auch uns alle, die wir uns bewusst bleiben sollen, dass wir in den Ölbaum Israel eingepfropft wurden. Die Pilgerreise, auf der wir unterwegs sind, beginnt nicht erst mit Jesus von Nazareth. Das Volk, in das Jesus hineingeboren wurde, ist lange Zeit vorher unterwegs, geführt von eben diesem Gott, der Mensch wird. Noch mehr: Derjenige, um den es geht, der „Logos“, das Wort Gottes, die Zweite Person der Hlst. Dreifaltigkeit, ist schon vor David „aktiv“ gewesen, ja er war schon damals DA, als der ICH-BIN-DA, und er ist auch jetzt DA und wird in Zukunft und für immer DA sein.

Wenn wir uns diesem Gott, der sich uns aussetzt, im Gebet aussetzen, denken wir daran, dass wir nicht nur als brave Christen des 21. Jahrhunderts vor ihm sitzen oder knien, sondern auch als Sprösslinge des in den uralten Ölbaum eingepfropften Zweiges.

Vertrauen wir uns Gottes faszinierendem Heilsplan an, den wir bestenfalls nur erahnen können. Wenn das, was wir bereits ahnen – mit der deutenden Hilfe des Paulus – schon so faszinierend ist, wie faszinierend muss dann erst die Wahrheit sein, wenn wir sie GANZ sehen und begreifen werden!

 

 


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