Alpha und Omega

Ich bin das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende. Wer durstig ist, den werde ich umsonst aus der Quelle trinken lassen, aus der das Wasser des Lebens strömt. (Offb 21,6)

Christus, „der Anfang und das Ende“, bezeichnet sich hier mit dem ersten und letzten Buchstaben des (griechischen) Alphabets: das Alpha und das Omega. Das Wort „Alpha“ ist uns sehr bekannt. Besonders einflussreiche, führungsstarke  Menschen werden heute gern als „Alpha-Tier“ bezeichnet. Sie sind der „Anfang“ einer Bewegung, stehen führend an der Spitze einer langen Reihe. Sie scheinen zu wissen, wo es hingeht. Doch in der Regel wissen sie kaum etwas von dem, was im hinteren Teil der Reihe geschieht. Bestenfalls haben sie in den hinteren Rängen ihre Informanten, die kontrollieren, ob alle brav folgen, damit die Reihe nicht kürzer wird oder gar Abweichler zur Bedrohung werden. Weiter interessiert sie das Ende der Reihe nicht. Jesus aber führt nicht nur an, er geht auch am Ende. Nicht kontrollierend, sondern dienend. Jesus Christus ist der Ursprung und das Ziel des Weges, der Anfang und das Ende der wandernden Schar, der Schöpfungsgeschichte überhaupt, aber er ist auch der Weg selber. Niemanden verliert er aus dem Blick, gerade nicht die Schwachen und Letzten.  

Beim Wort, das wir im letzten Monat betrachtet haben, sprach Jesus die Ängstlichen an, heute spricht er die Durstigen an. Viele von ihnen sind durch ihren übermäßigen Durst zu schwach zum zügigen Gehen geworden und schleppen sich als „Letzte“ dahin. Sie dürfen „gratis“ das Wasser aus der Quelle des Lebens empfangen, aus der sie Kraft zum Weitergehen schöpfen.  

Was ist die Quelle des Lebens? Woraus schöpfen wir Leben? Fangen wir bei unserem natürlichen Erleben an, würde ich sagen: aus der Erfahrung gelungener Beziehung. Das gilt nicht nur für kleine Kinder, die Geborgenheit und Ansprache brauchen, um zu wachsen und sich zu entwickeln. Das gilt auch nicht nur für Verliebte – – die stehen, wie die Kinder, eigentlich erst am Anfang –-, das gilt für alle Menschen, auch für die, die am Liebsten allein sind, wobei „gelungene Beziehung“ ein sehr weites Feld sein kann und nicht ständiger Kontakt bedeuten muss. Es ist schon gar nicht die Anzahl an „Freunden“ bei Facebook gemeint, es ist allein die Erfahrung eines verlässlichen DU und eines bergenden Wir.  

Gelungene Beziehung lässt leben, und zwar sehr gut leben! Sie stillt ein starkes inneres Verlangen nach Nähe, die Freiheit schenkt, nach Freiheit, die Nähe ermöglicht, nach Verlässlichkeit und lebendiger Dynamik. Aber wir kennen auch die schmerzliche Erfahrung, dass Beziehungen wieder einschlafen, verletzt werden und verloren gehen. In der Regel erleben wir es als Entzug von Leben, um so mehr, je echter und gelungener die Beziehung vorher war. Gott bietet uns eine Beziehung an, die von seiner Seite her nicht einschläft -– auch wenn es manchmal so scheint -– , die höchstens von uns, nie aber von ihm verletzt wird, die nie verloren geht, egal, was geschieht. Es ist eine Beziehung, die am ehesten der Beziehung zwischen Eltern und Kindern gleicht. Auch sie ist „gratis“, lässt leben, schenkt Nähe und Freiheit, Verlässlichkeit und Dynamik -– sofern sie einigermaßen ungetübt besteht. Aber selbst die gelungene Eltern-Kind-Beziehung wird von der Beziehung, die Gott zu uns hat, noch weit übertroffen.    

Gehen wir ins Gebet mit dieser Haltung: „gratis“ das Wasser des Lebens empfangen. Nicht als Leistende gehen wir dorthin, sondern als Dürstende –- auch wenn wir den Durst nicht immer spüren, weil wir gerade an etwas „lutschen“ und vom inneren Durst abgelenkt sind. Aber vergessen wir dabei nicht, dass es wirklich um Beziehung geht. Nur sie stillt unseren Durst, nicht irgendeine Erfahrung spiritueller Wellness, als sei Gott so etwas wie ein Ayurveda-Therapeut. Nichts gegen Entspannung, Frieden und Wohlbefinden! Sie können sehr nützlich sein und, richtig dosiert, unsere Aufmerksamkeit wach halten. Aber schenken wir diesem DU Gottes, das sich uns „gratis“ schenkt, auch unsere Aufmerksamkeit „gratis“, ohne jede Art von Berechnung. Auch ohne Anliegen? Die Anliegen stören nicht. Die legen wir ihm ja ans Herz, wie das Wort schon sagt. Überlassen wir das „Gelingen“ ihm – – eben: ohne Berechnung. 

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