Licht der Menschen

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In ihm war das Leben

und das Leben war das Licht der Menschen.

Und das Licht leuchtet in der Finsternis,

und die Finsternis hat es nicht erfasst.

(Joh 1,4.5)

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Würden wir mit unserer naturwissenschaftlich aufgeklärten Ratio nicht eher sagen:
Das Licht war das Leben der Menschen
– und nicht, wie Johannes:
Das Leben war das Licht der Menschen ?

Jede Pflanze braucht zum Leben Licht. Es lässt die Pflanze sprossen und wachsen. Erst recht wir Menschen brauchen Licht zum Leben. Auch im übertragenen Sinne. Für viele ist der Glaube ein solches Licht. Dieses Licht verstehen nicht wenige aber wie eine Art großer himmlischer Lampe über ihr Leben, unter deren Strahl ihr Leben entsteht und gedeiht. Und sie finden es praktisch, so eine wunderbar verlässliche Lichtquelle  im Glauben zu haben, um leben zu können. Nicht, dass sie nicht Recht damit hätten, aber – wie lebendig empfinden sie diese Lichtquelle? Oder gleicht sie einer fest hängenden Zimmerlampe, deren Glühbirne irgendwann ausgebrannt sein wird?

In Wirklichkeit ist es schon in der Natur anders: Nicht das Licht lässt Leben entstehen, sondern es ist selbst schon Leben. Es ist sowohl am Himmel, in der strahlenden Sonne, als auch im beschienenen Luftraum, aber auch schon gespeichert im Inneren des Samens. Im Zusammenspiel mit Luft, Wärme, Wasser und Erde konkretisiert sich nun dieses bereits überall gegenwärtige Leben in der keimenden und wachsenden Pflanze, die das Leben in ihrem eigenen Entstehen einfängt und nun mit ihren schönen Farben und Formen reflektiert und weitergibt. Sie ist ganz eingebunden in diesen Licht-Leben-Zusammenhang, passiv und aktiv. Er gibt ihr Form, Halt, Farbe und Wachstum und ermächtigt sie dazu, buntes Licht und Leben weiterzugeben.

Das Leben war das Licht der Menschen. Wann sind Menschen „licht“? Wenn sie geliebt werden. Das Geliebt-Sein, und zwar authentisch (nicht nur gemocht), erhellt das Dasein der Menschen, gibt ihnen Form, Halt, Farbe und Wachstum und ermächtigt sie zum Lieben. Alles andere ist nicht so furchtbar wichtig. Wenn sie da ist, die Liebe, leuchtet sie, auch wenn es um mich herum finster ist und selbst wenn meine Emotionen von mancher durch Menschen erfahrenen Finsternis noch belastet sind.

Noch einmal: Dieses Licht des Geliebt-Seins lässt das Leben in uns nicht erst entstehen und erhält es, sondern es ist selbst schon Leben. Es sammelt sich, konkretisiert sich in unserem Dasein, sobald wir es einfangen mit den tiefsten Fasern unseres Wesens und mit den Gaben, die in uns wachsen, reflektieren und weitergeben.

Nach Johannes ist dieses Licht nichts anderes als das „Leben im Wort“, was in seiner Sprache gleichbedeutend ist mit „das Leben in Gott“. Er will damit sagen: Gott selbst ist diese Liebe – ja,  diese Liebe, mit der jeder Mensch ohne Bedingung geliebt wird. Gottes Liebe ist LEBEN, und dieses LEBEN, das in ihm ist und in der Menschwerdung für uns ausströmt, ist das Licht der Menschen.

Und die Finsternis hat es nicht erfasst. Erfasst – aktiv oder passiv? Also aktiv im Sinne von „besiegen“, wie wenn ein schwarzes Loch im Weltall die Lichtteilchen eines Sterns mit seiner unheimlichen Anziehungskraft  erfasst und verschlingt (verschwinden lässt),  oder passiv im Sinne von erkennen, aufnehmen (und reflektieren)? Es sind durchaus gegensätzliche mögliche Bedeutungen. Ich kann leider kein Griechisch, aber nach dem Jesuiten Ansgar Wucherpfennig ist der Satz „die Finsternis hat es nicht erfasst“ bereits als Hinweis auf den Tod und die Auferstehung Jesu zu verstehen.[1] Gottes Liebe, die Fleisch geworden ist und sich unseren Finsternissen aussetzt, wird von der Finsternis eben nicht erfasst und verschluckt. Sie wird aber oft auch nicht erkannt und aufgenommen, also auch in diesem Sinne nicht erfasst  – das war ja gerade die Tragik des Todes Jesu! Er wurde mit seiner Liebe in den Tod getrieben. Doch sie war stärker. Durch den Tod hindurch erwies sie sich als Auferstehung und LEBEN – ewiges, allgegenwärtiges Leben.

Und das Leben ist das Licht der Menschen.

[1] Ansgar Wucherpfennig SJ, Der Johannesprolog – eine alljährliche Überforderung, in: Lebendige Seelsorge 58 (2007) 338–342

 

 

 

 

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