Gedanken zur Dreifaltigkeit

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Dreifaltigkeit – für viele ein mysteriöses Wort. Manche erinnern sich noch an Wissensfetzen aus dem Religionsunterricht. Viele assoziieren mit dem Wort ein frommes Kopfzerbrechen über eine mathematische Gleichung, die so nicht stimmen konnte. Man fand sich schließlich damit ab, dass halt bei Gott nichts unmöglich ist, auch nicht die eigentlich unmögliche Gleichung auf der Tafel unseres religiösen Wissens: 3=1. Man zuckte ratlos mit den Schultern und ging zur Tagesordnung über, denn „3=1“, das war nicht zu lösen und hatte schon gar nichts mit dem eigenen Leben zu tun.

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Wie sollte es auch? Was mit der göttlichen Dreifaltigkeit gemeint ist, ist keine Mathematik. Eher könnte uns die Grammatik auf die Sprünge helfen. Erinnern wir uns an „Aktiv“ und „Passiv“: Ich sehe – ich  werde gesehen; ich spreche an – ich werde angesprochen; ich liebe – ich werde geliebt usw. Da ist also einer, der sieht und einer, der gesehen wird; einer, der anspricht, und einer, der angesprochen wird, einer, der liebt, und einer, der geliebt wird, einer, der sich verschenkt, und einer, der das Geschenk der Hingabe empfängt. Und dann ist auch noch das Verb als solches da bzw. seine Bedeutung: der Akt des Sehens und Gesehen-Werdens, des Ansprechens und Angesprochen-Werdens, des Liebens und Geliebt Werdens usw., mit allem, was an „Sinn“, eben an „Geist“, an personaler Kraft diesen Akt ausmacht. Er verbindet die beiden Personen quasi wie eine dritte eigene „Person“ miteinander: den, der sieht, anspricht, liebt, mit dem, der gesehen, geliebt, angesprochen wird. Würde diese „dritte Person“, dieser personale Impuls des Sehens, Ansprechens, Liebens bzw. des Zulassens und Empfangens von alledem fehlen, es gäbe keine Interaktion zwischen den beiden.


Ich weiß, damit haben wir das Mysterium der Dreifaltigkeit noch lange nicht erklärt. Ganz abgesehen davon, dass es schon unter Menschen ja nicht so ist, dass beispielsweise ein Vater oder eine Mutter ihr Kind „nur“ aktiv liebt und das Kind sich „nur“ passiv lieben lässt. Nein, während das Kind sich lieben lässt, antwortet es bereits auf die Liebe, die es geschenkt bekommt. Es antwortet mit seinem Vertrauen, mit seinem Lachen, mit dem Leuchten seiner Augen, die das „Geliebt-Sein“ und seine innere Zustimmung dazu widerspiegeln, sein Echo auf diese Liebe. Und vom liebenden Vater oder der liebenden Mutter wird diese Antwort genauso liebevoll angenommen, also ist auch der aktiv Liebende nicht „nur“ gebend, sondern auch empfangend. Beide sind aktiv und passiv zugleich. Das Kind liebt bereits den, der es liebt – auf seine Weise und mit seinen Möglichkeiten, und erlebt sich darin „eins“ mit der Person, die es liebt. Und diese Person, die „zuerst“ liebte, lässt sich ebenso vom liebenden Kind beschenken. Genau darin erleben sie sich eins. Es ist aber eine Einheit, die die Freiheit nicht aufhebt. Im Gegenteil!

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Auch Jesus liebte seinen „himmlischen Vater“, während er aus dessen Liebe schöpfte. Er liebte ihn mit seinem Vertrauen, mit seiner Loyalität, mit seiner Bereitschaft zu hören und mitzugehen. Er liebte also durchaus aktiv und schöpferisch, frei wie kein anderer. Aber er war dabei immer ausgerichtet auf die Liebe des Vaters, in der Haltung des Vertrauens, des Antwortens eben, der Beziehung, des inneren Eins-Seins.


Es ist äußerst wichtig, beide Momente zu sehen, wenn wir an die Liebe denken: Lieben und Sich-Lieben-Lassen. Denn beides zusammen ist erst vollendete Liebe, und beides ist in Gott. Wir Christen sagen sogar: Beides IST Gott. Beides? Alle drei! Auch die Beziehungskraft als solche, die „hin- und hergeht“, der „Geist“ des Liebens, IST Gott. Der Gott, an den wir Christen glauben, ist alles andere als transzendente Langeweile. Er ist Lebendigkeit pur, LEBEN des Lebens, das die Schöpfung mit allen ihren Evolutionen darin nicht nur schöpferisch hervorbringt, sondern sich auch in sie hinein inkarniert und sie vollendet. Licht vom Licht, das unsere Herzen zum Leuchten bringt, wenn wir an den lebendigen Gott glauben.


Der Akt des Liebens, das meint also das Bild des „Vaters“; das Sich-lieben-Lassen, das meint „Sohn“; die „Essenz“ der Liebe, also das, was hin und her fließt und sich verströmt und verbindet: das meint „Geist“. Und das ist alles IN GOTT. Das alles IST Gott: der sich bewegende Beweger. Das ist enorm wichtig für unser Verständnis vom Leben, vom Menschen, von der Welt, von allem, was ist. Alles ist in Bewegung, alles „tanzt“. Es gibt nicht den einsamen Kern, der alles zusammenhält als wäre alles darin festgezurrt, oder das „höhere Wesen“ als einsame Spitze, die alles überragt. Von den Elementarteilchen bis zu den Galaxien, alles tanzt. Alles bringt durch lebendige Beziehung Leben hervor. Auch Gott „tanzt“, als Ursprung, Quelle und Ziel dieser Lebendigkeit in dieser feinen Bewegung der Liebe, die in der göttlichen Dreifaltigkeit herrscht.

Und doch sind es nicht drei Götter. Es ist die eine Gottheit. Wie soll man das verstehen? Gott können wir natürlich nie verstehen. Aber nicht, weil er so kompliziert wäre. Dreifaltigkeit ist nicht kompliziert. Ich suche immer gern Brücken – auch im Bewusstsein, wie unzulänglich diese sind. Aber es gibt sie! Wenn Gott die Welt erschaffen hat, dann muss die Schöpfung irgendwie mit ihm „verwandt“ sein. Erst recht der Mensch, den Juden und Christen als „Ikone Gottes“ ansehen. Dann muss im Nachdenken über den Menschen und über die innere Struktur der Schöpfung auch so etwas wie ein Bogen zum Wesen Gottes erahnbar sein – ohne dass dies schon das restlose Verstehen Gottes oder auch nur der Welt bedeuten würde.

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Wenn Du, Mensch, über Dich selbst nachdenkst, Dich selbst immer besser erkennst, annimmst, liebst, dann ist das ein faszinierender Vorgang. Kein Tier kann das. In Deinem Gehirn läuft Unglaubliches ab, das die Grenzen Deines Gehirns gleichsam überschreitet. Denn Du denkst über Dich selbst nach! Du stellst Dich in gewisser Weise neben Dich und betrachtest Dich. Im besten Fall nimmst Du Dich liebevoll an, vielleicht auch barmherzig. Auch das – ein ungeheurer Vorgang! Du stehst also „neben Dir“ oder „vor Dir“. Das heißt: Da ist einer, der schaut, und einer, der angeschaut wird – und es sind doch keine zwei Leute! Du bist auch nicht gespalten. Denn es ist eine Beziehung da, eine Einheit, jedenfalls solange Du bei der Wahrheit bleibst und Dir nichts vormachst. Es ist eine Beziehung, die Sinn gibt, die Dich vielleicht auch staunen lässt. (Das ist auch ein Grund für die sogenannte Selbsterkenntnis, die viel mehr ist als das bloße Eingestehen von Fehlern und Schwächen.) Und Du denkst über diese Beziehung nach, als wäre sie „eine Dritte im Bunde“. Du spürst ihre Heilkraft und schöpferische Energie, die Dich eins sein lässt, Dir zugleich entströmt und über Dich hinausführt. Und es sind doch keine drei Leute! Du bist immer noch Du. Es ist „Geist“ in Dir – Geist, der Dich beziehungsfähig macht, der Dich dazu befähigt, andere anzunehmen und Dich von ihnen annehmen zu lassen. (Jesus sagte es viel einfacher: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.)
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Was uns allerdings von Gott unterscheidet ist, dass diese Möglichkeiten nicht selten in unserem Innersten verschüttet bleiben oder nur sehr rudimentär gelebt werden, manchmal leider auch in eine billige und krankhafte Selbstbespiegelung hinein verkommen, die sich in Millionen Selfies verliert – wenn wir nie im Leben die Erfahrung gemacht haben, bedingungslos geliebt zu sein. Trotzdem glaube ich, dass diese Möglichkeiten in uns auch dann nicht ganz verloren sind, denn Gott liebt uns immer. Manche Menschen ahnen das – selbst unter katastrophalen menschlichen Bedingungen. Sie erfahren menschlich so gut wie nie echte Liebe und ahnen doch, dass immer ein göttlich-liebender Blick auf ihnen ruht und sie führt. Wenn sie dann doch einmal menschliche Liebe erleben, ist es für sie wie ein „Wiedererkennen“, das sie nur noch staunen lässt. 

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Nimmst Du Dich also selbst an, dann bist Du zugleich die Person, die annimmt, die Person, die angenommen wird, und Du bist im Akt des Annehmens lebendig gegenwärtig, bringst darin Dein Innerstes zum Ausdruck, den „Geist“ in Dir, der das kann – und der dann auch aus sich heraustreten und andere Menschen annehmen und mit ihnen Gemeinschaft haben kann. Auch das bist Du selbst. Du bist in diesen drei „Personen“, von denen jede ihren „Charakter“ oder ihre „Funktion“ hat, immer Du selbst in Deiner Einmaligkeit. Du bist keine „Multipersönlichkeit“, sondern hast in Deiner ungeteilten Einmaligkeit – als Bild Gottes – eine trinitarische Struktur, wenn man so sagen darf, ja, eine Beziehung in Dir. 

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Wir sind es nicht gewohnt, so zu denken. Denn von der Neuzeit her haben wir eine Vorstellung von Person, die nur die bloße Eigenständigkeit und isolierte Individualität kennt, die sich auf die Aktion des unmittelbaren Denkens, Entscheidens und Tuns beschränkt. Und logischerweise denken wir ähnlich von Gott (falls wir überhaupt noch mit ihm rechnen): als wäre er ein überirdischer einsamer Uhrmacher, der sich entscheidet, mal an diesem, mal an jenem Rädchen zu drehen. Und wir bestürmen ihn, möglichst unsere Lieblingsrädchen zu drehen… Dieses Gottesbild hat stark das 19. Jahrhundert geprägt, auch bei vielen Christen, die viel mehr „Kinder ihrer Zeit“ waren als sie ahnten. Und ich bin überzeugt, dass unsere heutige Gottes-, Glaubens- und Kirchenkrise immer noch damit zu tun hat. Nein, Gott ist definitiv kein einsamer Uhrmacher. Es gehört zur Tragik unserer Zeit, dass derjenige, dem aufgeht, dass Gott kein einsamer Uhrmacher sein kann, sich von Glaube und Kirche abwendet, weil er nichts anderes kennt als dieses neuzeitlich beschränkte Gottesbild. Aber das ist nicht der Gott der Christen – auch wenn viele Christen das meinen! Der Gott der Christen ist dreifaltig, das ist geradezu revolutionär! Doch wir haben in über 2000 Jahren Kirchengeschichte an diesem Glauben zwar festgehalten, aber – mit einigen Ausnahmen – noch viel zu wenig davon verstanden. Wir können es ja auch nie ganz verstehen. Aber es kann nichts „Fremdes“ sein, wenn dieser Gott der Urheber allen Lebens ist!
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Irgendwie bin ich überzeugt: Die Erneuerung des Glaubens, der Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden, aber auch die Erneuerung des Miteinanders in Europa, werden dann möglich sein, wenn wir Gottes Dreifaltigkeit neu entdecken. Nicht als Dogmatismus, sondern als DNA des Lebens: Doppelstrang des Geliebt-Werdens und Liebens, der eine unglaubliche schöpferische Kraft enthält und freisetzt.
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Und eine tiefe Hoffnung in mir sagt: Es wird auch geschehen – sobald die Zeit dafür reif ist.
Davon abgesehen: Es geschieht längst – ganz unspektakulär. 

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