Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern

Wir stehen im Vaterunser als Bittende vor Gott und blicken auf ihn als Geber. Aber – sind wir in diesem Gebet wirklich nur Bittende? Und ist Gott nur Geber?

In der zweitletzten Bitte vor unserer heutigen, als wir um das Geschehen von Gottes Willen beteten, ersehnten wir den Himmel auf Erden. Die Erde, unser Lebensraum, soll den Himmel widerspiegeln (wie im Himmel, so auf Erden). Auch auf Erden soll geschehen, was im Sinne Gottes ist! Jetzt aber – nach der Bitte um das tägliche Brot, das die Eucharistie einschließt -– sprechen wir das „Wie“ in umgekehrter Richtung: der Himmel soll nun die (verwandelte) Erde widerspiegeln, in die hinein Gottes Liebe sich verleiblicht hat –- jedenfalls den kleinen Flecken Erde, auf dem wir barmherzig sind. (Vergib uns …, wie auch wir … vergeben.) Der unendlich beschenkte Mensch gibt seine freie Antwort: in der Bereitschaft zur Barmherzigkeit gegenüber seinen Mitmenschen.

Gottes Wille, der nichts als LEBEN in Fülle will, hat sich auf Erden verwirklicht – in unserer Barmherzigkeit, besser gesagt: darin, dass Menschen voneinander Vergebung erfahren. Dies löst ein gewaltiges Echo im Himmel aus – Jubel herrscht im Himmel über einen einzigen Sünder, der umkehrt, sagt Jesus bei Lukas, – das zurückschallt und Mauern der Verhärtung niederreißt, weil Gottes Barmherzigkeit nun ungehindert fließen kann. Die lebendige Kommunikation zwischen Himmel und Erde ist wiederhergestellt.

Moment mal –nimmt denn Gott unsere Vergebungsbereitschaft wirklich zum Maß für sein Erbarmen, uns also quasi als Vorbild? Schauen wir genau hin! Unsere Bitte sagt nichts über Gott aus, sie ist und bleibt eine Bitte an ihn. Wir sagen etwas über uns aus: Wir behaupten allen Ernstes, dass wir vergeben -– und bieten diese angebliche Bereitschaft Gott als Maß an für sein barmherziges Handeln an uns. Wir werfen den Ball, aus freier Initiative –- in der Hoffnung, dass er auch wieder zurückkommt! Ist das nicht vermessen? Der „Ball“, den wir werfen, war aber schon geschenkt. Er ist uns sozusagen in die Wiege gelegt worden: die Fähigkeit zur Barmherzigkeit, die Fähigkeit zum Vergeben. Wir sprechen bereits als Beschenkte. Immerhin gingen dieser Bitte andere voraus, auf deren Erfüllung wir bauen. Um ein weiteres Bild zu gebrauchen: Wir halten Gott nicht eine Vorleistung, sondern ein Gefäß hin, das er uns selbst in die Hand gegeben hat, um sein Erbarmen fassen zu können.

Offenbar ist es wichtig, unser Herz grundsätzlich auf Vergebung im Kleinen einzustellen, in unserem eigenen überschaubaren Wirkungsbereich, um uns auf die Wellenlänge der unendlichen Barmherzigkeit Gottes ausrichten zu können. Vergebung ist nicht etwas, es ist nicht nur Schuldenerlass, es ist geheilte Beziehung, es ist Zuspruch! Um ihn zu hören, müssen wir erst die eigenen Stöpsel aus den Ohren ziehen und aufhören, uns an den empörten oder melancholischen Tönen des eigenen Herzens zu berauschen. Wir müssen Herz und Ohr wieder für die Person, für Beziehung öffnen!

 Jesus sieht uns nicht ausschließlich als arme Schlucker, als Bittsteller vor Gott, sondern auch als Beschenkte, als Gebende, als Freunde. Er hat uns reich beschenkt, damit auch wir geben können, nämlich die bedingungslose Liebe, mit der wir geliebt werden, unseren Mitmenschen weitergeben, und darin auch Initiativen ergreifen. So wichtig sind wir ihm –- und der Mensch neben uns!

Gemeint ist nicht, sich alles gefallen zu lassen. Es geht darum, die grundsätzliche Wertschätzung für den anderen immer wieder aufzugreifen, sein Verhalten von seiner Person zu unterscheiden. Der hl. Benedikt drückt es so aus: den Bruder lieben, die Fehler hassen.“Und Mechtilde de Bar hat noch eine Idee: Wenn wir einen Fehler bei einer Schwester bemerken, beten wir für sie, damit sie selbst nicht so unter ihrem Fehler leidet!“ Das ist Wertschätzung! Und es ist gar nicht so schwer.

Ob wir das auch können, wenn wir verletzt sind? Sicher nicht sofort. Aber die Schotten dicht zu machen hilft auch nicht weiter. Wir haben Augen und ein Herz, die sollten immer wieder frei werden für die Person, gerade auch durch das Dickicht mancher Verletzungen hindurch – möglichst vor Sonnenuntergang, rät Benedikt, d.h. bevor es in uns so dunkel wird, dass wir die Person gar nicht mehr sehen können. Es ist wohl anstrengend, und wir sollten uns davor hüten, unsere Gefühle dabei achtlos zu überspringen oder zu verdrängen. Bei besonders tiefen und hartnäckigen Verletzungen können wir ruhig Hilfe annehmen, auch professionelle. Versöhnung ist kein leichtfertiger Spontanakt, es kann schon manchmal ein mühsamer Prozess sein, der Geduld erfordert – nicht zuletzt mit uns selbst. Aber wir können diesen Prozess mit Gewinn für beide Seiten und für unsere Gottesbeziehung durchstehen. Barmherzigkeit Gottes erfahren – dazu  gehören mindestens drei!

Die Bereitschaft zur Vergebung überfordert uns nicht. Aber sie fordert uns ganz.  Nehmen wir in unsere Gebetszeiten die Menschen mit, die uns im Laufe unseres Lebens wehgetan haben, besonders jene, mit denen wir noch offene Rechnungen haben, und beten wir für sie! Lassen wir sie in Gedanken neben uns sitzen vor dem Allerheiligsten, bevor wir weitere Schritte der Versöhnung tun, wo es notwendig und möglich ist!

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